Filmchen statt Fummeln
Pornosucht und Erektionsstörungen
Pornografie - kaum ein anderer Bereich der Erotikbranche polarisiert mehr. Ein Drittel des Internets besteht aus pornografischen Inhalten, der nächste Höhepunkt ist nur einen Klick entfernt. Pornografie ist nichts Neues, bereits in der Antike wurden erotische Zeichnungen und Skulpturen angefertigt. Doch die rapide Verbreitung und sekundenschnelle Verfügbarkeit von expliziten und aus immer mehr Superlativen bestehenden pornografischen Inhalten birgt Gefahren für die Psyche sowie die Erektionsfähigkeit.
Kann Pornosucht zu erektiler Dysfunktion führen und ist ein gesunder Pornokonsum überhaupt möglich?
Wenn selbst Reizüberflutung nicht genug ist
Eine Erektion wird wie zu erwarten durch sexuelle Stimuli ausgelöst, dies können Berührungen, Gerüche oder auch Träume sein. Bei sexueller Stimulation sendet das Gehirn über das Rückenmark und die Nerven Signale an den Penis. Diese sexuellen Reize können sowohl psychologisch als auch physisch sein, aber eben auch visuell oder akustisch. Werden bestimmte Reize öfter als andere wahrgenommen, wie etwa erotische Bilder oder Filme, merkt sich das Gehirn diese Assoziationen.
Wer also übermäßig häufig Pornografie konsumiert, konditioniert sein eigenes Gehirn auf diese Art von Reizen. Dr. Laura Wiemer aus unserem Kranus Health Team schätzt die Nutzung von Pornos dann als problematisch ein „wenn bei der Selbstbefriedigung eine bestimmte Art der Erektion trainiert ist“. Das könnten, so die Urologin, „zum Beispiel viele visuelle Reize, schnelles Herstellen der Erektion und ein schneller Orgasmus“ sein.
Hierbei spielen Häufigkeit und Regelmäßigkeit große Rollen. Wer ständig die gleichen Erregungsmuster, beispielsweise über täglichen und stundenlangen Konsum von Pornos, auslöst, stärkt die dazugehörigen Nervenverbindungen. Alternative Erregungsmuster, wie der Anblick eines attraktiven Partners oder weniger extreme Sexpraktiken, reichen dann nicht mehr aus.
Praller, voller, größer - Sex der Superlative
Der Erwartungsdruck auf Menschen, die viel Pornografie konsumieren, kann sich extrem steigern, da einem ständig der Vergleich vor Augen geführt wird. Mainstream Pornografie ist zwar extrem beliebt, stellt jedoch zuhauf nicht die Realität dar. Auch Amateurfilme, die wirken, als wären sie ungelenk mit dem Handy gefilmt worden, werden produziert, ausgeleuchtet, geschnitten und bearbeitet. Unrealistische Darstellung von Sexualität ist ein großer Kritikpunkt an Pornografie und das zu meisten Teilen zurecht.
Vielen sind die Tricks der Industrie nicht einmal bewusst. Der Wunsch einen ähnlich großen Penis wie den des Darstellers im Lieblingsfilmchen zu haben, kann ohnehin nicht erfüllt werden, aber auch die Durchhaltefähigkeit ist höchstwahrscheinlich gefaket. Teilweise wird mit Steroiden eine Erektion erzwungen, um besonders prall zu wirken und lange zu stehen. Fake Sperma wird mit der richtigen Kameraeinstellung eingesetzt, um einen eklatanten Samenerguss darzustellen. Plastische Chirurgie ist auf dem Vormarsch, allein im Jahr 2020 wurden 142.000 Intimlippenverkleinerungen weltweit durchgeführt.
Die Wahrscheinlichkeit, eine verdrehte Vorstellung von der Realität im Bett zu bekommen, ist bei übermäßigem Pornokonsum mit fehlenden realen Eigenerfahrungen extrem hoch. Nicht nur Männer sind davon betroffen, auch Frauen fürchten oft den Erwartungen, die Pornos mitgeben, nicht gewachsen zu sein. Wer häufig Pornos konsumiert, tendiert dazu, bald nicht mehr mit den herkömmlichen Inhalten zufrieden zu sein. Durch eine Art Abstumpfung des Gehirns brauchen viele immer härtere Praktiken, grenzüberschreitende Inhalte, verbotenere Konstrukte - ergo immer stärkere Reize, um das Erregungsmuster irgendwie zu befriedigen. Ganz plakativ gesagt: Wo am Anfang noch die visuelle Darstellung eines liebevollen Pärchens reichte, um eine Erektion hervorzurufen, schafft es am Ende nur noch der 8 Mann Gang Bang.
Wer jetzt schon befürchtet, nie wieder auf herkömmliche Art und Weise sexuelle Befriedigung finden zu können, kann beruhigt sein. Die Erregungsmuster in unserem Hirn sind nicht in Stein gemeißelt. Sexuelle Erregung kann neu konditioniert werden – mithilfe von verschiedenen therapeutischen Maßnahmen. Die erste und wohl naheliegendste Lösung ist, die Nutzung von Pornografie zu reduzieren oder ganz einzustellen. Die dominanten Erregungsmuster werden so seltener reproduziert. Zudem ist für eine starke Erektionsfähigkeit eine gute Balance zwischen sexueller Erregung und Entspannung notwendig.
Bin ich pornosüchtig?
Da über Pornos im Alltag so gut wie nie gesprochen wird, kann es schwierig sein sich selbst einzugestehen ein Problem zu haben. Zudem ist Pornosucht eine Krankheit, die sich aufgrund des Stigmas recht gut verstecken lässt.
Ein Anstieg des Pornografiekonsums im Laufe der Zeit. Jemand, der an Pornosucht leidet, konsumiert Pornos vielleicht nicht mehr nur ein paar Mal pro Woche, sondern viele Male am Tag.
Eine Zunahme der Intensität des Pornokonsums. Wie bei jeder anderen Sucht nimmt auch bei der Pornosucht die Wirkung des "Highs" ab, und die Nutzer brauchen möglicherweise eine immer intensivere Erfahrung, um Befriedigung zu finden. So wie ein Alkoholiker mit Bier anfängt und später immer größere Mengen harten Alkohols konsumiert, während sein Körper eine Toleranz gegenüber Alkohol aufbaut, können Menschen mit Pornosucht nach grafischen, tabulosen oder abartigen Pornos suchen, nachdem "Softcore"- oder "Vanilla"-Pornos nicht mehr das liefern, wonach die Sucht verlangt.
Die Unfähigkeit, den Pornokonsum trotz der negativen Folgen einfach zu beenden. Ein Pornokonsument kann feststellen, dass sein Pornokonsum zu negativen Auswirkungen auf seine Beziehungen, seine Familie, seine Gesundheit oder seine Karriere führt, kann sich aber nicht dazu durchringen, damit aufzuhören. Dies ist DAS verräterische Zeichen für Sucht.
Gute Neuigkeiten: Gesunder Pornokonsum ist möglich
Pornografie hat seine Schattenseiten, doch nicht alles an Pornokonsum ist schlecht. Zunächst ist, wie bereits erwähnt, der bewusste Umgang und Konsum von erotischen Inhalten entscheidend für ein gesundes Verhältnis zur eigenen Sexualität. Die Realisierung, dass die dargestellten Szenen eben nur “dargestellt” sind, kann schon helfen, eine wichtige Distanz zwischen einem selbst und dem fragwürdigen Ideal zu schaffen.
In den letzten Jahren hat sich eine neue Sparte in der Welt der Pornografie aufgetan: Ethical Porn (zu deutsch: Ethische Pornografie). Filme dieser Kategorie fokussieren sich auf realistische und diverse Darstellung von Erotik und Sexualität, zudem wird auf faire Bedingungen hinter den Kulissen geachtet. Wer also die Nase voll von unerreichbaren Schönheitsidealen und Klischees hat, aber nicht auf visuelle Erregung verzichten will, sollte sich mal in diese Richtung umschauen.
Pornos können eine tolle Bereicherung für das Sexleben sein, solange sie nur als Ergänzung und nicht als Ersatz behandelt werden. Wer beispielsweise mit seiner Partnerin eine spezielle Praktik nicht ausüben kann, kann Befriedigung in der visuellen Beobachtung dieser Praktik auf dem Monitor erfahren. Doch auch regelmäßiger Konsum als Single ohne aktives Sexleben ist möglich. Pornografie wird immernoch unter dem Deckmantel des Schweigens versteckt, doch ist es ein sehr humanes Bedürfnis sich sexuelle Befriedigung zu suchen. Insofern Häufigkeit und Verständnis von Pornokonsum im Einklang sind, steht dem nichts im Wege.