Psychosomatische Erkrankungen in Verbindung mit LUTS

Probleme beim Wasserlassen folgen verschiedenen körperlichen Erkrankungen. Doch auch die Psyche und deren Erkrankungen wirken sich auf die Blase und deren Funktionsweise aus. Psychosomatische Erkrankungen können dabei nicht nur die Ursache für die Beschwerden sein, sondern auch Folgeerscheinungen von LUTS.

Faktencheck: Die Verbindung zwischen Psyche und Körper

Ein in der Medizin wichtiges Thema ist die Verbindung zwischen Erkrankungen des Körpers und Erkrankungen der Psyche. Während diese früher getrennt voneinander betrachtet worden sind, konnte sich heute eine ganzheitliche Betrachtung der Krankheitsbilder etablieren. Zugrunde liegt dem Ganzen der Dualismus von Körper und Psyche – also die Trennung beider Komponenten – im biomedizinischen Modell, in dessen Vordergrund ausschließlich physikochemische Prozesse standen. Erst mit dem Konzept der Psychosomatik wurden tatsächliche Wirkungen der Psyche auf körperliche Prozesse als Wechselwirkungen erklärt. Das heute gültige biopsychosoziale Modell ist die Antwort auf den von Patienten gewünschten ganzheitlichen Behandlungsansatz und besagt, dass bei jedem Krankheitsprozess sowohl physikochemische als auch psychische und sogar soziale Faktoren zu berücksichtigen sind. Die differenzierte Betrachtung zwischen somatischen und psychosomatischen Krankheiten wird damit obsolet.

 

Beschwerden der unteren Harnwegen können verstärkt Einfluss auf psychosomatische Folgeerkrankungen nehmen. Des Weiteren können psychosomatische Vorerkrankungen LUTS ebenso vorausgehen.

Psychosomatische Miktionsstörungen 

Negative Gefühle wie Wut, Ärger, Enttäuschung und Angst führen zu einer inneren Anspannung. Diese Anspannung überträgt sich auf die Muskulatur des Körpers, wodurch es mit der Zeit zu chronischen Muskelverspannungen und schmerzhaften Myogelosen (=fixierter Zustand der Muskulatur) kommen kann. Besteht in der Beckenbodenmuskulatur diese Art der Anspannung, wird von einer unwillkürlichen Schutzreaktion der Urogenitalregion gesprochen. Diese kann durch vorausgegangene Erkrankungen dieses Körperbereichs ausgelöst werden.

 

Die stetige Anspannung der Muskeln wird von den tieferen, unbewussten Teilen des Gehirns gesteuert. Der sensomotorische Kortex ist für bewusste Bewegungen und Empfindungen zuständig. Kommt es nun zu einer solchen Verspannung der Muskulatur, wird von einer sogenannten sensomotorischen Amnesie gesprochen. Sprich: Das Gehirn erinnert sich nicht mehr daran, wie sich die Muskeln anfühlen oder bewegen lassen. Verspannungen der Beckenbodenmuskulatur können von einem erfahrenen Arzt ertastet werden.

Reizblasensymptomatik

Bei der Reizblase handelt es sich um einen starken Drang zu urinieren, obwohl die Blase nur sehr wenig gefüllt ist. Zusätzlich geht der ständige Harndrang mit krampfartigen Schmerzen im Unterleib einher und es können weitere Symptome, wie beispielsweise Brennen beim Wasserlassen, fehlendes Erleichterungsgefühl nach der Miktion oder auch das Urinieren nur kleinster Harnmengen auftreten. Die Symptomatik ähnelt der überaktiven Blase (kurz OAB). Für die Symptome der Reizblase können keine organischen Ursachen identifiziert werden. So können jedoch affektbedingte Anspannungen der Muskulatur auftreten, die zu einer intraabdominalen (=innerhalb des Bauchraums) Druckerhöhung führen. So kann sich hinter der Reizblase eine Angststörung oder starker Stress verbergen.

Urethralsyndrom

Das Urethralsyndrom beschreibt ein Krankheitsbild mit unklarer Ursache und einem vielseitigen Symptomkomplex. Dazu zählen Dysurie (=Schmerzen beim Urinieren), Pollakisurie (=häufiger Harndrang), Nykturie (=nächtliches Wasserlassen) sowie wiederkehrende bzw. chronische Schmerzen im Bereich der Harnröhre bei nicht nachweisbarer Harnwegsinfektion. Die Symptome ähneln dabei der interstitiellen Zystitis (=bladder pain syndrom) und der überaktiven Blase (kurz OAB). Auch hier können die Beschwerden auf chronische Muskelverspannungen zurückgeführt werden.

Chronischer Beckenschmerz des Mannes (CPPS)

Der chronische Beckenschmerz wird oftmals nur schwer diagnostiziert und ist dementsprechend schwierig zu behandeln. Häufig wird daher fälschlicherweise eine Prostataentzündung (=Prostatitis) diagnostiziert und erfolglos medikamentös therapiert. Ursächlich dafür ist eine nach wie vor bestehende Klassifizierung in der National Institute of Health (NIH). Grundsätzlich sollte auf eine Prostataentzündung untersucht werden, um diese ausschließen zu können. In der aktuellen Behandlungsleitlinie wird auf das biopsychosoziale Modell und damit einen ganzheitlichen Behandlungsansatz verwiesen. Symptomatisch zeigt sich der chronische Beckenschmerz durch Miktionsprobleme, wie häufigen Harndrang oder erschwerte Blasenentleerung, Druckgefühl im Damm und hinter dem Schambein oder auch einem unangenehmen Ziehen in der Leistengegend, die in die Hoden ausstrahlen.

Angstpolyurie

Unter Polyurie versteht man eine krankhaft erhöhte Produktion sowie Ausscheidung von Urin. Bei der sogenannten Angstpolyurie liegt eine psychosomatische Ursache dem Harndrang zugrunde. Die Nieren produzieren in kurzer Zeit größere Harnmengen, wodurch es zu einer zügigen Dehnung der Blasenwand kommt. Daraus resultiert eine Verstärkung des Impulses zum Wasserlassen, obwohl die Speicherkapazität der Blase nicht vollständig in Anspruch genommen worden ist. Kommt es üblicherweise erst bei einem Füllstand von 70% zu einem ersten Harndranggefühl, tritt bei der Angstpolyurie dieses Signal schon wesentlich früher ein. Die Ursache wird derzeit (2024) psychosomatisch vermutet, da der pathophysiologische Mechanismus der Funktionsstörung noch nicht ausreichend geklärt werden konnte.

Psychogene Harninkontinenz

Inkontinenz ist besonders in der älter werdenden Gesellschaft ein präsentes Thema. Es beschreibt die fehlende Fähigkeit der Blase, den Urin zurückzuhalten und kontrolliert abzugeben. Somit kommt es immer wieder zum unwillkürlichen Abgang kleiner Urinmengen, die Betroffene belasten. Während sich als Auslöser für die Harninkontinenz oftmals organische Ursachen identifizieren lassen, gibt es auch eine psychogene Harninkontinenz, deren Trigger im psychosomatischen Bereich zu finden sind. Starke Emotionen, wie beispielsweise Angst, lösen eine erhöhte und anhaltende Anspannung der Beckenbodenmuskulatur aus, die in dessen Folge zum unwillkürlichen Harnverlust führt.

Psychogener Harnverhalt

Bei einem Harnverhalt handelt es sich um die Konstellation einer vollen Blase, schmerzhaften Harndrangs und der Unfähigkeit, diese über die Miktion zu entleeren. In seiner akuten Form handelt es sich um einen medizinischen Notfall, der dringend behandlungsbedürftig ist. Ist dieser Umstand psychosomatischer Natur, wird von einem psychogenen Harnverhalt gesprochen. Auch hier liegt eine chronische Verspannung der Beckenmuskulatur zugrunde, die sich in seltenen Fällen in eine Blasenwandhypertrophie mit Balkenblase entwickeln kann.

LUTS: Psychosomatische Folgeerkrankungen 

Beschweren der unteren Harnwege können für Betroffene auch mentale und soziale Folgen haben. Während häufiger Harndrang (=Pollakisurie) oder nächtlicher Harndrang (=Nykturie) für Betroffene zwar unangenehm und in einem ausgeprägteren Stadium auch belastend und einschränkend sind, bringt vor allem die Inkontinenz psychosomatische Folgeerkrankungen mit sich.

Depressionen und sozialer Rückzug

Inkontinenz kann durch Depressionen oder depressive Verstimmungen ausgelöst werden, doch zeitgleich können sie auch durch Inkontinenz bedingt werden. Der unwillkürliche Harnverlust ist ein stark stigmatisiertes und schambehaftetes Thema. Betroffene schränken sich in ihrem Alltag ein, gehen sportlichen Aktivitäten oder Interessen nicht mehr weiter nach und ziehen sich auch sozial zurück. Durch das Nässen im Intimbereich können sich zudem schmerzhafte Entzündungen entwickeln, die ebenfalls das mentale Wohlbefinden weiter beschneiden.

Inkontinenz und Erektionsstörungen

Auch das Sexualleben wird durch eine bestehende Inkontinenz beeinflusst. Häufig tritt eine Inkontinenz gemeinsam mit Erektionsstörungen auf, wodurch sich die psychische Belastung für Männer weiter verstärkt. Als Folge werden sexuelle Kontakte reduziert und depressive Verstimmungen oder Depressionen verstärkt.

Stress und die Blase

Stress macht krank. Die Psyche. Den Körper. Die Blase. Stress kann nicht nur bestehende Beschwerden verstärken, sondern auch ursächlich für verschiedene Krankheitsbilder sein. In Bezug auf LUTS-Beschwerden kann Stress Inkontinenz auslösen oder eine bestehende Symptomatik verschlimmern. Auch hier steht die Muskulatur im Zentrum, die sich aufgrund des hohen Stresspegels verspannt und die Kontrolle über die Blase reduziert.

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BPH: Benigne Prostatahyperplasie