Blockade im Kopf
Wie überwindet man sexuelle Erwartungsängste?
In der 1999 verabschiedeten „Erklärung der sexuellen Menschenrechte“ wird sexuelle Selbstbestimmung als „Freiheit eines jeden Individuums, alle seine sexuellen Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen“ definiert. 23 Jahre später laufen Werbespots von Amorelie zur Prime Time im Fernsehen, Potenzmittel kauft man einfach und anonym im Internet und selbst konservative Freunde tauschen sich schamfrei über ihre Lieblingspositionen aus. Ist die sexuelle Selbstbestimmung und somit Selbstbewusstsein damit erreicht?
Die Antwort ist vermutlich irgendwo zwischen “Es ist ein guter Anfang” und “Unsere Gesellschaft ist schon sexualisiert genug”. So oder so lässt sich sagen, dass sich zwar die Kommunikation über Sexualität gelockert hat, die Erwartungen an uns und unser Sexleben sich jedoch eher verändert statt gelindert haben. Natürlich ist es toll zu wissen, dass Sex kein Tabu mehr ist. Nichtsdestotrotz gewinnt man(n) durch Mainstream Pornografie, toxische Männlichkeitsbilder oder sich hartnäckig haltende Mythen immer noch häufig den Eindruck, dass man die Erwartungen an die Performance im Bett nicht erfüllen kann. Dabei ist der größte Feind im Bett meistens der eigene Kopf. Doch diesen auszuschalten gleicht einer Mammutaufgabe.
Was sind überhaupt sexuelle Normen?
Unter Erwartungsangst verstehen wir die Angst, die bereits vor der eigentlich gefürchteten Situation auftritt. So gesehen also die Angst vor der Angst. Erwartungsangst wird auch davon beeinflusst, wie zuversichtlich wir sind, dass wir eine Situation bewältigen können. Oft spielen auch die eigenen Vorstellungen davon, was wir glauben in einer Situation tun oder erreichen zu müssen, eine wichtige Rolle. Je höher die Ansprüche sind, desto mehr Druck entsteht.
Das, was wir glauben, im sexuellen Kontext erreichen zu müssen, nennen wir sexuelle Norm. Ganz konkret also unsere Vorstellungen davon, wie lang der Sex, wie prall die Erektion, wie groß der Penis sein muss oder wie viele Stellungen beim Sex durchgeführt werden müssen. Diese sexuelle Normen sind durch viele Faktoren beeinflussbar, wie zum Beispiel Medienkonsum, Gesellschaftsbilder, aber auch ganz individuelle Erfahrungen. Jeder Mensch bewertet diese Normen anders. Es ist ratsam, diesen Normen nicht zu viel Bedeutung zuzuschreiben und sich auf seine eigenen individuellen Bedürfnisse oder die seines Partners zu fokussieren.
Die Erwartungsangst lässt sich behandeln und wird in der Sexualtherapie dadurch überwunden, dass man die gefürchtete Situation konfrontiert. Wichtig zur Überwindung der Erwartungsangst ist ein sicheres Gefühl für die eigene Identität und das eigene Erleben in der Begegnung mit der Partnerin oder dem Partner. Die sexualtherapeutischen Übungen von Kranus Edera legen hierfür die Grundlage.
Die Herkunft von Performanceangst
Wie bereits angesprochen, sind wir unser eigener bester Feind. Unsicherheit und Scham definieren uns doch häufiger, als wir zugeben wollen. Zudem spielen alltäglicher Stress oder Ängste zunehmend eine Rolle darin, wie selbstbewusst wir uns im Bett verhalten. Nicht zu vergessen sind natürlich auch schlechte Erfahrungen, beginnend bei der Befürchtung eines vorzeitigen Samenergusses bis hin zu sexuellen Übergriffen.
Wie so häufig sind die Ursachen für Erwartungsängste vielseitig und extrem individuell. Probleme, die sich völlig unabhängig von Ihrem Sexualleben anfühlen, können auf das Schlafzimmer übergreifen, z. B:
allgemeine Ängste und Stress (die auch erektile Dysfunktion verursachen können)
schlechte Laune oder Depressionen (die ebenfalls zu Erektionsstörungen führen können)
Mangel an sexueller Erfahrung
mangelnde Sexualerziehung
Penisunsicherheiten
Probleme mit dem Körperbewusstsein
geringes Selbstwertgefühl
All diese Probleme haben negative Auswirkungen auf das allgemeine Selbstwertgefühl und übertragen sich somit auf das sexuelle Wohlbefinden. Es ist also leicht zu verstehen, wie sich diese negativen Gedanken auf die Selbsteinschätzung im sexuellen Kontext auswirken können.
Viele der aufgelisteten Probleme lassen sich durch Aufklärung oder sexualtherapeutische Ansätze lindern oder sogar lösen. Selbstverständlich sollte bei tieferliegenden Problemen wie Depressionen, sexuellem Missbrauch oder physischen Erkrankungen stets eine medizinische Fachkraft aufgesucht werden.
Tief durchatmen, dann durchstarten
Druck auf sich selbst und die eigene Performance beginnt, wie bereits erwähnt, häufig im Kopf. Es gibt jedoch einige Strategien damit umzugehen und die frechen Dämonen im Kopf zum Schweigen zu bringen. Hier sind 3 Schritte mit denen man erste Denkmuster umlenken kann:
Schritt 1: Erfassung automatischer Denkmuster
Wie ein Boomerang kommen manche Gedanken immer und immer wieder. “Ich bin nicht gut genug”, “Ich werde nie eine Frau befriedigen”, “Ich bin nicht sexy genug”, die Liste könnte ewig weitergehen. Diese Sätze fressen sich ins Unterbewusstsein und schädigen unserem Selbstwert. Das Gehirn produziert als Resultat negative Gedanken automatisch als die Norm. Der erste Schritt, um destruktive Denkmuster zu programmieren, ist daher zunächst das Bewusstsein zu schärfen.
Schreiben Sie sich gegebenenfalls auf, welche Gedanken und Befürchtungen regelmäßig wiederkommen und die eigene Auslebung der Sexualität hemmen. Einmal auf Papier ist es leichter, diese zu identifizieren und im Umkehrschluss neu zu formulieren.
Schritt 2: Reality Check der Denkmuster
Nun haben wir eine Liste von all den fiesen Dingen, die unser Hirn heimsuchen. Nicht besonders motivierend, doch dieser Schritt ist wichtig. Gleichen Sie die Sätze mit der Realität ab. Schauen Sie in Ihre Erfahrungen der Vergangenheit und halten Sie nach Entwicklungspotential Ausschau. Unser Unterbewusstsein merkt sich negative Erfahrungen manchmal stärker als positive, doch diese sind mit ziemlicher Sicherheit auch da. Wann haben Sie zuletzt eine intime Situation gut gemeistert, was waren die Voraussetzungen? Sollte die Situation vollkommen neu sein, kann es auch helfen, sich ein positives Szenario mit allen Details auszumalen. Wie wird es sich anfühlen, diese Herausforderung gut zu schaffen?
Schritt 3: Reprogrammierung der Gedankenmuster
Mit Geduld und Willensstärke lassen sich auf diese Art und Weise nicht nur einzelnen negativen Gedanken Grenzen aufzeigen. Ganze Gedankenstrukturen lassen sich damit langfristig neu justieren sowie neue Gedankenmuster schaffen. Wer bei jedem „Ich komme bestimmt wieder viel zu früh“ an die Erfolge bei vergangenen intimen Erfahrungen zurückdenkt, kann langfristig automatisch Zweifel ausblenden. Bei neuen oder lange aufgeschobenen Herausforderungen kann es schon helfen, jedem negativen Gedanken ein „Ich probiere es einfach aus” entgegenzusetzen. Zu Beginn muss man dies gar nicht mal selbst zu 100 Prozent glauben. Trotzdem kann es einem ermöglichen, bisher unbekannte Wege zu gehen und Alternativen auszuprobieren.
Gesunde Beziehung zu uns selbst → Gesunde Beziehung zu unserem Sexleben
Wie bereits erwähnt, ist die wichtigste Basis für ein gesundes sexuelles Selbstbewusstsein eine gute Beziehung zu uns selbst. Sowohl dem Geist, als auch dem Körper wohlgemerkt. Kennen Sie Ihren eigenen Körper eigentlich richtig?
Es mag am Anfang ein wenig komisch sein, doch es empfiehlt sich, regelmäßige Übungen für ein achtsames Körperbewusstsein zu machen. Wichtig ist hier vor allem, dass es nie um sexuelle Hochleistung gehen sollte. Viel mehr liegt der Fokus auf einer bewussten und umfassenden Auseinandersetzung mit der eigenen körperlichen Selbstwahrnehmung. Ein Beispiel aus der Sexualtherapie (auch in unserem 12-Wochen-Programm der Kranus Edera App zu finden) ist eine simple Übung zum Bewusstwerden der eigenen Körperzonen:
Anleitung zur sexualtherapeutischen Übung für mehr Körperbewusstsein
Sobald Sie sich entkleidet haben, treten Sie vor den Spiegel. Lassen Sie den Anblick Ihres Spiegelbildes auf sich wirken. Versuchen Sie alle Gefühle, die dabei entstehen, zuzulassen. Beginnen Sie damit, interessiert und neugierig zu sein. Achten Sie darauf, was Ihnen auffällt und wie es Ihnen dabei geht. Betrachten Sie sich dann von der Seite. Bei der Betrachtung der Rückseite ist ein Handspiegel hilfreich.
Nehmen Sie im nächsten Schritt der Übung einzelne Körperteile von Kopf bis Fuß genauer in Augenschein. Sie bestimmen selbst, in welcher Reihenfolge Sie sich selbst genauer betrachten. Lassen Sie aber nichts aus. Achten Sie bei der Übung auf wohltuende Wahrnehmungen. Bleiben Sie etwas länger bei diesen Körperstellen, die in Ihnen ein positives Gefühl auslösen.
Bei aufkommenden Schwierigkeiten während der Betrachtung eines bestimmten Körperteils können Sie sich zunächst einem anderen Körperteil zuwenden, vom Spiegel ganz abwenden oder die Augen schließen. Versuchen Sie sich kurz zu entspannen und schauen Sie sich den “schwierigen” Bereich dann erneut an und stellen Sie fest, ob sich vielleicht etwas in Ihrer Bewertung verändert hat. Versuchen Sie, eine möglichst annehmende und wertschätzende Grundhaltung sich selbst gegenüber zu entwickeln.
Konzentrieren Sie sich zum Ende der Übung auf die Körperstellen, die Ihnen gefallen. Seien Sie neugierig und entdecken Sie Ihren Körper neu.