Erste Ergebnisse und Ausblick einer Digitale Gesundheitsanwendung in der Urologie zur Behandlung von erektiler Dysfunktion
Berlin / München, 24. März 2021
Die Kranus Health GmbH entwickelt eine Digitale Gesundheitsanwendung zur ursächlichen Behandlung von Männern mit erektiler Dysfunktion (ED) organischen oder nicht-organischen Ursprungs, die als leitliniengerechte Therapie eine Versorgungslücke im Bereich ED schließen soll. Nutzer der App (iPhone und Android) absolvieren ein 12-Wochen-Programm bestehend aus Beckenbodentraining, physiotherapeutischen Übungen mit Fokus auf Beckenbodenmuskulatur, kardiovaskulärem Ausdauertraining und Übungen zur Achtsamkeit und Körpererfahrung. Patienten erhalten täglich neue Übungen, die in ihrer Intensität und Komplexität auf Basis des Feedbacks durch den Patienten personalisiert werden.
Digitale Therapie zur Behandlung von Erektiler Dysfunktion
Die digitale Gesundheitsanwendung zur Behandlung von ED basiert auf dem Prinzip des digitalen Coachings, das persönliche multidisziplinäre Rehabilitation mit den Schwerpunkten Herz-Kreislauf-Training, Beckenbodentraining und mentale Unterstützung ermöglicht. Der multidisziplinäre Ansatz beinhaltet mehrere Programmelemente, deren Wirksamkeit in der Behandlung von erektiler Dysfunktion in der Fachliteratur vielfach belegt ist (siehe Abschnitt Leitlinien und Versorgungsrealität). Tägliches Training der Beckenbodenmuskulatur zielt auf die Fähigkeit zur wiederholten Kontraktion der für die erektile Funktion relevanten Beckenbodenmuskulatur ab. Erweitertes Beckenbodentraining wird als spezielle physiotherapeutische Übung mehrmals pro Woche angeleitet (Video, Audio) und zielen sowohl auf die Verbesserung der kardiovaskulären Fitness, als auch auf die Unterstützung der Grundübungen des Beckenbodens ab. Das kardiovaskuläre Training sieht moderates Ausdauertraining mindestens zweimal pro Woche vor. Detaillierte Trainingspläne (abhängig von der individuellen körperlichen Fitness) sind in Text und Tabellen angegeben. Zudem stehen Patienten im mentalen Bereich achtsamkeitsbasierte und sexualtherapeutische Audioinhalte im Kontext der ED zur Verfügung. Ergänzend erhalten Patienten täglich Bildungsinhalte, um ihr Verständnis für die zugrundeliegenden Prinzipien der erektilen Funktion und Einfluss von Lebensstilfaktoren, wie z.B. Ernährung oder Stress, auf die erektile Dysfunktion zu verbessern.
Ergebnisse Prototyp und Ausblick
Die Wirksamkeit des evidenzbasierten Programms zur Behandlung von ED wurde anhand eines Prototyps mit 30 Patienten getestet. Der Altersmedian lag bei 51 Jahren (26-81 Jahre). Die Patienten wurden vor Beginn und nach Abschluss mittels IIEF-6 Fragebogen befragt. Nach Absolvierung des Programms ergab sich eine durchschnittliche Verbesserung von 4.6 Punkten beim IIEF-6. Bei drei Viertel der Patienten hat sich die Qualität der Erektionen verbessert. Insgesamt waren zwei Drittel der Patienten zufriedener als bei Programmstart. In Anbetracht der IIEF-Verbesserung sind Alter, BMI und Krankheitsdauer negativ korreliert (-0.3, -0.23 bzw. -0.35), was einem schwachen linearem Zusammenhang entspricht.
Ab Mai 2021 wird eine Studie (intra-individueller Vergleich) mit zusätzlichen Probanden durchgeführt, um die Wirksamkeit der digitalen Therapie zur Behandlung von erektiler Dysfunktion weiter zu belegen. Die Kranus Health GmbH strebt damit über das BfArM auch die Zulassung als DiGA an. Die Therapie soll damit für Patienten voll erstattbar werden. In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. med. Sabine Kliesch vom UKM ist in 2021 die Durchführung einer größeren RCT-Studie geplant. 'Die ersten Ergebnisse mit dem digitalen ED Programm sind vielversprechend', sagt Prof. Dr. Kurt Miller, Urologe an der Charité und Chief Medical Officer bei Kranus Health, 'wir finden die Ergebnisse mit den 'alten' analogen Behandlungsmethoden, die in der einschlägigen LIteratur beschrieben sind, bestätigt.'
Leitlinien und Versorgungsrealität in der Behandlung von ED
Erektile Dysfunktion (ED) ist in der männlichen Bevölkerung weit verbreitet. In der 'Massachusetts Male Aging Study' (MMAS) wurde bei 17% der befragten 40- bis 70-jährigen Männer ein geringfügige, bei 25% eine moderate und bei 10% eine vollständige ED gefunden. Die Gesamtprävalenz lag folglich bei 52% in der befragten Gruppe (1). Die EAU-, AUA- und deutschen Richtlinien zur erektilen Dysfunktion zeigen keine relevanten Unterschiede hinsichtlich der Behandlungsprinzipien. Es wird die ursächliche Therapie mit einer Lebensstiländerung und Reduktion von Risikofaktoren empfohlen, sowie eine Behandlung psychischer oder anderer kausaler Ursachen als wichtigste und primäre Therapie. Entgegen der Leitlinien ist in der heutigen Versorgungsrealität allerdings die Behandlung mit Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (PDE-5) die am häufigsten verwendete Erstlinientherapie. Kedia et. al haben die aktuellen Strategien zur Behandlung von ED unter Verwendung von vasoaktiven Arzneimitteln zusammengefasst (2). PDE-5-Hemmer sind zwar im Allgemeinen gut verträglich, zeigen jedoch Nebenwirkungen (Kopfschmerzen, Erröten, Dyspepsie, verstopfte Nase, Schwindel und Sehstörungen), die die Behandlung bei einer Reihe von Patienten schwierig oder unmöglich macht.
Als Alternative hat sich körperliche Aktivität in der Therapie von ED ebenfalls als wirksam erwiesen, ebenso wie das Training der Beckenbodenmuskulatur (3, 4, 5, 6). Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass psychologische Unterstützung (zum Beispiel durch Achtsamkeitsübungen) wirksam ist (7, 8). Neben Gewichtsreduktion und Reduktion anderer kardiovaskulärer Risikofaktoren (z.B. erhöhtes Cholesterin, Hypertonus) stellen kardiovaskuläres Training und Beckenbodenübungen somit die wesentlichen Pfeiler der in den Leitlinien erwähnten 'Lebensstiländerungen' dar. Olaf Theuerkauf, Vorstand der Stiftung Männergesundheit freut sich über den innovativen Therapieansatz: 'Das Programm hat das Potential, die Männergesundheit in mehrfacher Hinsicht nachhaltig zu verbessern.'
In den Leitlinien sind jedoch keine detaillierten Anweisungen zur Anwendung von Herz-Kreislauf-Training, Beckenbodenübungen, mentaler Unterstützung und gesundheitlicher Aufklärung bei Patienten mit ED enthalten. Die genannten Interventionen erfordern ein enges Coaching von Patienten über einen Zeitraum von mehreren Wochen und lassen sich daher aufgrund von Kapazitätsbeschränkungen und hohen Kosten von Behandlern nur schwer umsetzen. 'Wir freuen uns, dass wir diese Maßnahmen zur Verbesserung von ED mit Hilfe digitaler Methoden jetzt einer viel größeren Patientenpopulation zugänglich machen können' sagt die Urologin Dr. Laura Wiemer, Medical Director bei Kranus Health, die medizinische Inhalte des Programms federführend mitentwickelt hat. Hierin begründet sich die Notwendigkeit, diese Anleitungen zur Lebensstiländerung auf innovative Weise in das tägliche Leben der Patienten zu bringen. Dies kann durch das vorgeschlagene digitale Coaching und Training erreicht werden.
Hintergrund: Das Digitale-Versorgungsgesetz ermöglicht neue Ansätze in Patientenversorgung
Das Bundesgesundheitsministerium hat mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) die regulatorische Grundlage dafür geschaffen, die Digitalisierung im Gesundheitswesen schrittweise und flächendeckend umzusetzen. Wesentlicher Bestandteil sind Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die zur konkreten Verbesserung der Versorgung von Patienten beitragen sollen und sich nun verschreiben lassen ('App auf Rezept'). Ziel der meisten Digitalen Gesundheitsanwendungen ist, Patienten bei der Erkennung und Behandlung von Krankheiten sowie auf dem Weg zu einer selbstbestimmten gesundheitsförderlichen Lebensführung zu unterstützen, die Hauptfunktion der DiGA beruht dabei auf digitalen Technologien. Eine DiGA durchläuft vor der Aufnahme in das dafür geschaffene DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein unabhängiges, strukturiertes und standardisiertes Prüfverfahren, das die Einhaltung von Anforderungen an die technische und medizinische Sicherheit und Qualität sowie den Datenschutz und die Datensicherheit gewährleistet. Über Studien müssen die Hersteller einer DiGA zudem den medizinischen Nutzen oder patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen in der Versorgung nachweisen.
Seit dem Beginn des Verfahrens am 27. Mai 2020 wurden insgesamt elf Anträge vom BfArM positiv beschieden und die DiGA somit als digitales Medizinprodukt durch Krankenkassen erstattbar gemacht. Der Indikationsschwerpunkt liegt derzeit bei psychischen Erkrankungen. Weitere Indikationen sind Tinnitus, Adipositas, Arthrose und Multiple Sklerose. Im Fachbereich Urologie ist bisher keine DiGA gelistet.
Literaturverzeichnis
1. Feldman HA, Goldstein I, Hatzichristou DG, Krane RJ, McKinlay JB. Impotence and its medical and psychosocial correlates: results of the Massachusetts Male Aging Study. J Urol. 1994;151(1):54-61.
2. Kedia GT, Uckert S, Tsikas D, Becker AJ, Kuczyk MA, Bannowsky A. The Use of Vasoactive Drugs in the Treatment of Male Erectile Dysfunction: Current Concepts. J Clin Med. 2020;9(9).
3. Claes H, Baert L. Pelvic floor exercise versus surgery in the treatment of impotence. Br J Urol. 1993;71(1):52-7.
4. Dorey G, Speakman MJ, Feneley RC, Swinkels A, Dunn CD. Pelvic floor exercises for erectile dysfunction. BJU Int. 2005;96(4):595-7.
5. Van Kampen M, De Weerdt W, Claes H, Feys H, De Maeyer M, Van Poppel H. Treatment of erectile dysfunction by perineal exercise, electromyographic biofeedback, and electrical stimulation. Phys Ther. 2003;83(6):536-43.
6. Sommer. Prävention der erektilen Dysfunktion durch gezieltes körperliches Training. Blickpunkt der Mann. 2004.
7. Bossio JA, Basson R, Driscoll M, Correia S, Brotto LA. Mindfulness-Based Group Therapy for Men With Situational Erectile Dysfunction: A Mixed-Methods Feasibility Analysis and Pilot Study. J Sex Med. 2018;15(10):1478-90.
8. Sommers FG. Mindfulness in love and love making: a way of life. Sexual and Relationship Therapy. 2013;28(1-2):84-91.(1) Eine spezielle Form einer Medizinprodukte-App ist die Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA). Das neue Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) nimmt DiGAs als Bestandteil der Regelversorgung von Krankenkassen auf. Bei einer Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis des Bundesministeriums für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) winkt der Zugang zu über 73 Millionen gesetzlich Versicherten, die eine DiGA durch ihren Arzt verschrieben bekommen können, die direkt von der Krankenkasse vergütet wird.